Die Könige übergeben die Macht ans Volk

Nicolette Geriet

Die Könige übergeben die Macht ans Volk

Schweizer Märchen

Märchen sind wie Träume
Sie steigen aus dem Unbewussten und sind plötzlich da. In ihrer unergründlichen,
alten Weisheit bringen sie etwas mit aus der Ur-Vergangenheit und wirken in
unsere moderne Zeit. Sie wandern durch die Geschichte, sammeln im Himmel und
auf der Erde im Laufe der Zeiten ihre Schätze ein, um sie dann irgendwann,
irgendwo und bei irgendwem auszuschütten. Märchenfiguren verbinden sich oft
geschwisterlich mit anderen Wesen, Menschen, Tieren, Pflanzen, Steinen und
vor allem auch mit den unsichtbaren und geistigen Kräften. In vielerlei
Gestalt, als Kobolde, Luftgeister oder Hexen kommen sie daher, als Engel
oder Vogeltiere, als Ritter oder Lichtgestalt auf der Suche nach dem Stein
der Weisheit. Wir können sogar einen Jungbrunnen finden oder verzaubert
werden im Blumengarten des Märchenlandes. Kommt mit in den bezaubernden
Blumengarten des Märchenlandes! Entspannen wir uns von den wichtigen und
ernsten Angelegenheiten des oft so stressigen Alltags!
Nicolette Geriet
Textauszug:

Ein Land, wo Königinnen regieren
Eines Tages, als die Prinzessin so im Schloss herumstöberte, entdeckte
sie plötzlich eine grosse Tür. Über der Tür stand in alten, verschnörkelten
Buchstaben: Schloss-Bibliothek. Neugierig versuchte Elonea die Tür zu öffnen.
Tatsächlich, sie war unverschlossen. Langsam, mit vorsichtigen Schritten trat
Elonea ein. In dem halbdunklen Raum roch es muffig. Bestimmt war schon lange
niemand mehr hier gewesen und hatte gelüftet. Staunend stand sie vor den hohen
Regalen voller Bücher, die zu Tausenden den Raum füllten. Elonea öffnete eines
der Fenster und stiess die schweren Holzläden auf. Dicker Staub wirbelte auf,
durch feinste Spinnweben schimmerte das Sonnenlicht. Bücher! Ja, das war Eloneas
Welt! Weit öffnete sich ihr Herz. Was hatte sie für einen Schatz entdeckt! Da
gab es Schriften aus alten Zeiten und fremden Ländern. Lesen und dadurch Neues
erfahren, das wurde ihre Leidenschaft. Von da an verbrachte die Prinzessin jede
freie Minute in der Bibliothek, manchmal sogar die Nächte, wenn sie eigentlich
hätte schlafen sollen.
Mit den Jahren nahm das Wissen, die Bildung und auch die Schönheit der
Prinzessin immer weiter zu. Mancher Prinz umschwärmte sie. Königin und König
hofften, dass bald der Richtige kommen würde. Viele Prinzen wurden der Tochter
vorgestellt, die sie heiraten wollten. Doch sie schaute kaum von ihren Büchern
auf, schüttelte bei jedem den Kopf und vertiefte sich wieder in ihre Bücher.
Ihr waren nur die Bücher wichtig. Königin und König waren in ernster Sorge. Eines Tages war der König wegen
eines kleinen Missgeschicks so schlechter Laune, dass ihm der Geduldsfaden riss.
Er liess der Prinzessin melden: Morgen wird Prinz Olaluf im Schloss erwartet.
Diesem wirst du versprochen und in vier Wochen wird Hochzeit gefeiert! Ich dulde
keine Widerrede mehr! Bei dieser Nachricht war es der Prinzessin, als erwachte sie aus einem
bösen Traum. War das möglich? Sie sollte heiraten? Oh Gott! Und dann noch den
dicklichen Prinzen Olaluf, der sich schon als Kind nicht für Bücher, sondern
nur fürs Essen interessiert hatte? Nein, niemals! Jetzt bereute Elonea, bei
all den anderen Prinzen 'Nein' gesagt zu haben. Denn es waren auch solche darunter
gewesen, die nicht so dumm und nicht so dick gewesen waren. Doch sie wusste nur
zu gut: Hatte der Vater einmal einen Entschluss gefasst, war er nicht mehr davon
abzubringen. Was sollte sie jetzt nur tun?


ISBN 9783934785489