Hans Mayer - Theaterraum-Filmraum

Hans Mayer

Theaterraum-Filmraum

Figurenspiel und Kameraperspektive - dargestellt am Emil-Jannings-Film "Der zerbrochene Krug" nach dem Lustspiel von Heinrich von Kleist

Bühneninszenierung und Verfilmung stellen eine Hilfe zum Verstehen eines Dramentextes dar. Stärker als die Theateraufzeichnung kann die Dramenverfilmung die Kameraführung einsetzen und so zum Verständnis des Textes beitragen.
Heinrich von Kleists "Der Zerbrochene Krug" in der Version des Emil-Jannings-Films aus dem Jahr 1937 gilt als erste orginäre Dramenverfilmung, die den Text weitgehend unverändert ließ und die verbale Aussage zugleich spezifisch filmisch repräsentierte. Deutlich zeigt sich die Korrespondenz von Wort und Bild
- sowohl in der dramatischen Dichtung selbst,
- in der Inszenierung auf der Bühne und
- in der filmischen Technik.

Es gibt ein räumliches Kommunikationssystem, das Akteure und Objekte auf der Bühne und im Film in Konstellationen stellt, denen implizite emotionale Bezüge und Dominanzverhältnisse zugewiesen sind. Denn die Darsteller agieren in Beziehung zu Figuren und Objekten auf der Bühne, gleichzeitig aber auch zum Zuschauer hin. Wichtige Aussagen korrelieren mit dominanten Körperstellungen und Raumpositionen.
Anhand der Emil-Jannings-Verfilmung "Der Zerbrochene Krug" lassen sich die Eigenheiten der dichterischen, dramatischen und filmischen Gestaltungsweise erfassen, im besonderen aber auch die Beziehung von Körperhaltung zu räumlichen Umgebung, die in Theater und Film kommunikativ verwendet werden und die verbale Aussage des dichterischen Textes verdeutlichen.

Der Film verdeutlicht die Textvorlage durch die Wahl des jeweils adäquaten Standpunkts und einen passenden Bildausschnitt durch die Kamera. Der Beobachtungsstandpunkt befindet sich im selben Raum wie die Figuren und nicht, wie bei der Bühne, davor. Die Kamera wählt den bildlichen Ausschnitt, nimmt verschiedene Standpunkte ein und bewegt sich mit den Akteuren, hebt dramatisierend das Wichtige hervor und verstärkt dadurch die Wirksamkeit aller verbalen Aussagen.
Die Verfilmung integriert Zeichen, Symbole, Raumlinien und Raumobjekte, wechselt von der Nah- zur Distanzaufnahme und umgekehrt entsprechend dem Handlungsverlauf, und die Kamerabewegung versieht das Figurenspiel mit korrelierenden Bedeutungen.
Der Film deutet objektiv Sichtbares unmerklich in subjektiv Wahrgenommenes um; die filmische Darstellung konzentriert den Zuschauerblick, suggeriert bestimmte Schlußfolgerungen aus dem Verhalten der Figuren und steuert auf diese Weise Gedanken und Gefühle des Betrachters; hierin liegt die eigentliche rhetorische Wirksamkeit des Films begründet.

Heinrich von Kleists "Zerbrochener Krug" verlangt nach visueller Gestaltung; das Aussehen des Richters zeigt das Gegenteil seiner Aussagen: daß er der Täter ist.


ISBN 3927966274