Das Soldatengrab im Schönbuch

Hans Mayer

Das Soldatengrab im Schönbuch

Eine Dokumentation

Das Soldatengrab ist vielen Menschen, die am Schönbuch wohnen, gut bekannt; es besitzt eine große Anziehungskraft und wird wegen seiner einsamen Lage mitten im Wald stärker wahrgenommen als die Gräber auf den Soldatenfriedhöfen. So ist es im Laufe der Zeit zu einem geographischen Ortsbegriff geworden und in den Wanderkarten des Schönbuchs verzeichnet. Auf Wanderungen oder mit dem Fahrrad kommen viele Menschen hier vorbei. Schulklassen besuchen es auf ihren Ausflügen. Aber so viele das Grab selbst kennen, so wenige sind es, die von seiner Geschichte wissen. Auch die örtliche Presse erinnert immer wieder an das einsame Soldatengrab im Schönbuch, aber "wie er zu Tode kam, wer ihn damals begrub am Rande der damals mit Kriegsgerät übersäten Talwiesen, weiß man nicht." Am 19. April 1995 jährt sich der 50. Todestag des Soldaten Viktor Wagner. Aus diesem Anlaß soll an die damaligen Ereignisse erinnert, das Schicksal des damals 19jährigen rekonstruiert und die Bedeutung, die sein Grab für die Menschen nach dem Krieg hatte und noch in diesen Tagen hat, aufgezeigt werden. Die Familienangehörigen des Gefallenen und alle, die etwas mit dem Grab zu tun hatten, haben dafür bereitwillig die noch auffindbaren Dokumente zur Verfügung gestellt und gern Auskunft gegeben. Ihnen allen sei herzlich gedankt. Ohne ihre Hilfe hätte dieser Bericht nicht entstehen können. Auf den folgenden Seiten wird auf eine zusammenhängende Erzählung (und damit Deutung) der Ereignisse weitgehend verzichtet. Dafür kommen die herangezogenen Quellentexte selbst zu Wort. Dazu gehören vor allem die Protokolle des Pfarrers Paul Wolf, ein Bericht des Kompaniechefs Günter Opawsky sowie Bilder und Briefe aus dem Besitz der Familie Wagner. Diese Dokumente, in ihrer ursprünglichen Form und ihren sprachlichen Eigenarten belassen, sollen dem heutigen Leser die tragischen Ereignisse jener Jahre vor Augen führen. Es war die Zeit kurz vor der bedingungslosen Kapitulation. Die Front lag bereits in Deutschland, der Krieg war verloren. Die deutschen Armeen befanden sich fast überall in Auflösung. Die letzten Reserven waren schon mobilisiert, alte und invalide Männer als Volkssturm aufgeboten, junge Männer im Schulalter wurden noch eingezogen, obwohl sich die unausweichliche Niederlage längst abzeichnete. Die jungen Menschen, seit ihrer Kindheit durch Propaganda fehlgeleitet und zu fragwürdigen Idealen wie unbedingtem Gehorsam zum Führer, Verteidigung des 'Großdeutschen Reiches' (in Stalingrad, Nordafrika und anderen fernen Orten) und des NS-Regimes bis zum totalen Untergang erzogen, wurden von einer verbrecherischen Regierung mißbraucht. Sie konnten sich nicht wehren, konnten das Ausmaß der ungeheuerlichen Verbrechen nicht überblicken und hatten oft keine Chance, dem Tod zu entgehen. Viele von ihnen waren dazu verurteilt, noch in den letzten Kriegstagen einen sinnlosen Tod zu sterben. Als Mahnung und Erinnerung an diese Zeit steht das Soldatengrab im Schönbuch, dessen Geschichte wir zu rekonstruieren versuchen.


ISBN 392796641X